Starke Emergenz – wenn das Ganze mehr ist, als die Summe seiner Teile

Emergenz (lateinisch emergere „Auftauchen“, „Herauskommen“, „Empor-steigen“) bezeichnet die Möglichkeit der Herausbildung von neuen (System-)Eigenschaften oder Strukturen infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Emergenz kann grundsätzlich in eine schwachen und einer starken Form unterschieden werden. Die schwache Form der Emergenz entspricht einer nur vorläufigen Nichterklärbarkeit emergenter Systeme auf der Grundlage der Beschreibung ihrer Elemente. Bei der starken Form von Emergenz geht die Physik beziehungsweise Philosophie von ihre prinzipielle Nichter-klärbarkeit aus.

Starke Emergenz ist ein philosophisches Konzept, das sich auf Phänomene bezieht, die nicht vollständig durch die Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten ihrer Bestandteile erklärt beziehungsweise vorhergesagt werden können. Im Gegensatz zur schwachen Emergenz, bei der emergente Eigenschaften durch das Zusammenwirken der Teile erklärt werden können, zeichnet sich starke Emergenz durch die Annahme aus, dass emergente Eigenschaften grundsätzlich nicht auf die Eigenschaften und Interaktionen der zugrundeliegenden Komponenten reduziert werden können. Starke Emergenz umfasst typischerweise:
Irreduzibilität

Ein emergentes Phänomen ist stark emergent, wenn es nicht vollständig durch die Zusammensetzung und die Interaktionen seiner Bestandteile erklärt werden kann. Es gibt keine vollständige, reduktive Erklärung, die das Phänomen durch die fundamentalen Gesetze und Eigenschaften der Bestandteile beschreibt.

Neuheit
Starke Emergenz erfordert, dass die emergente Eigenschaft qualitativ neu ist und in keinem der Bestandteile des Systems in irgendeiner Form existiert. Diese neuen Eigenschaften treten auf der Ebene des Gesamtsystems auf, nicht auf der Ebene der Einzelkomponenten.

Kausalautonomie
Ein stark emergentes Phänomen hat eine Form von Kausalität, die unab-hängig von den zugrundeliegenden Bestandteilen ist. Das bedeutet, dass das emergente Phänomen kausale Kräfte oder Wirkungen hat, die nicht durch die kausalen Interaktionen der Bestandteile allein erklärbar sind. Es übt einen rückwirkenden Kausaleffekt aus, der das Verhalten der Bestandteile beeinflussen kann.

Unvorhersagbarkeit
Starke Emergenz ist auch mit der Unvorhersagbarkeit des Phänomens auf der Grundlage der Kenntnis der Bestandteile und ihrer Interaktionen ver-bunden. Selbst wenn man alles über die Bestandteile weiß, kann man das emergente Phänomen nicht vorhersagen oder rekonstruieren.

Unabhängigkeit von Mikrophysik
Starke Emergenz erfordert, dass die emergenten Eigenschaften auf einer makroskopischen Ebene existieren, die in gewisser Weise unabhängig von der mikroskopischen Ebene ist. Diese Unabhängigkeit deutet darauf hin, dass es eine neue, eigenständige Ordnung oder Gesetzmäßigkeit gibt, die nicht durch die mikroskopischen Details bestimmt wird.


Während schwache Emergenz gut mit einem reduktionistischen und analy-tischen Weltbild vereinbar ist, fordert starke Emergenz dieses heraus, indem sie vorschlägt, dass es Eigenschaften gibt, die jenseits der vollständigen Erklärung durch die zugrunde liegenden physikalischen Gesetze existieren. Dabei gibt es (theoretisch) bestimmte Voraussetzungen und eine erforderliche Beschaffenheit eines Systems, damit starke Emergenz möglich ist. Diese Voraussetzungen betreffen die Struktur, Dynamik und Interaktionsmuster des Systems.